26 MAY 1933, Page 14

Kunst und Politik

IVO.* EINE3I DEUTSCHEN KORRESPONDENTEN.]

-IRAS nationalsozialistische Deutschland hat zwei Martyrerfiguren, mit denen es Propaganda macht. Die eine ist Horst Wessel, der. in Berlin von Kommunisten ermordet wurde, die andere ist Schlageter, ein junger ehemaliger Offizier, welcher in der Zeit des Ruhrkampfes wegen Sabotage im Auftrage eines franzosischen Kriegs- gerichtes hingerichtet wurde. Das Horst Wessel-Lied, eine eigene dichterische und musikalische Kcimposition des jungen Ermordeten, hat einen packenden rythrnischen Kiang, obwohl sein Text, _wie es manchnial bei Marschen der Fall ist, eine recht fragwuerdige poetisehe Leistung darstellt. Es ist neben " Deutschland, Deutschland tidier alles " im neuen deutschen Staate zu einer Art von Nationalhymne geworden.

" Die Gestalt von Schlageter hat bekatintlich der Diehter Johst in eine Tragodie hineinverarbeitet, die, well die gegenwiirtige Reichsregierang .sick von ihr eine starke propagandistische Wirkung verspricht, zurzeit ueber alle deutschen Buehnen geht. , Per politische Sinn des Stueckes ist natuerlich darauf geriehtet, die schmerz-- haften nationalen Erinnerungen an die von alien Deut-: schen als Sehmach empfundene .Zeit des Einbruchs der Franzosen in das Ruhrgebiet vor zehn Jahren• nen. zu wecken, es dient somit ausgesprochen nationalistiseher. Tendenz. Wie aber ist sein kuenstleriScher Wert ? Der Beobachter deutseher Verhilltniaac musste befuerehten, dass bd ihm die Thcaterkritiker in. Gefahr korninen wuerden, in Gegensatz zu den Wuenschen der Regierungs- gewaltigen zu geraten. Tatsiichlich aber sind sic dieser Gefahr nicht ausgesetzt gewesen, denn alle Berichte, die vorliegen, zeigen,. class Johst's " Schlageter " in Wahrheit vom kuenstlerischen Standpunkt eine geradezu glanzende Leistung ist. Dieses Urteil gilt schon von dem ersten Akt, der, wie es heisst, mit wirklich erstaunlicher Oekonomie abgewogen ist. Per zweite Akt ist weniger geglueckt. In ihm sprach an sehr der Politiker, dem es darauf ankam, die Gestalten des Weimarer Deutschlands zu verzerren. Seine Kazikiertmgen entsprechen bier nicht allein nicht der Wahrheit, sic sind auch innerlich hohl. Die Steigerung im dritten und vierten Akt ist dann aber wieder hochdrainatisch. Per Dichter ging nut einer Sparsamkeit vor, die eine vorzuegliche Disposition verrat.

Mit dem Horst Wessel-Lied and mit " Schlageter' hat der deutsche Nationalsozialismus also Glueck gehabt. Wie aber steht es mit seiner Betatigung auf anderen kuenstlerischen und literarischen Gebieten ?. „ Er will ja bekanntlich, dass ein neuer ." Aufbrueh Deutschlands nicht _nur in der Politik, sondern such in der Kunst and in der Literatur erfolge. Was er sich auf dem Gchiete der bildenden Kuenste zum Ziel gesetzt -hat, erfuhr man aus einer Rede des Kultusministers Dr. Rusti, die dieser bei der diesjithrigen Ertiffnimg der: Grossen Berliner Kuristausstellung hielt. Der Minister-: stirich` aus, die deutsche Kunst der letzten zelui Jahre sei im VerfaU gewesen; this deutsche Volk ohne Ziel und Inhalt dahin Oat habe. " Die von artfremden Elementen gepredigte V011dosigkeit ist nun als Ideal 'endlich der Verdienten Verdammungpre. isgegeben." Herr Rust ninunt offenbar den 'Mund ein wenig voll, und mit seiner Kritik an der Naehkriegskunst hat er wohl so ziemlich das Kind mit dein' Bade ausgeschuettet.

Aber auch das deutsche Buell soil, so will 'es der Nationalsozialismits, ein neues Gepruge erhalten. Herr Dr. Goebbels, der Reichsminister fuer Propaganda; verkuendete bei der Kantate-Feier des Bliirsenvereins fuer den deutschen Buchhandel in Leipzig das kuehne WOrt : Wir werden den Zeitgeschmack andern." Auch dem Propaganda-Minister schweben sehr hohe Ziele vor : " Dem armsten Sohn des Volkes Zugang zu schaffen zu den kulttirellen Werten - der deutschen Nation, ihm zu zeigen, was Deutschland ist und warum er Grund hat, auf dieses Deutschland stolz zu sein, ist die Aufgabe der neuen kulturellen Wendung." Herr Dr. Goebbels hat den deutschen Rundfunk bereits in einen Exeriierplatz Vet.- wandelt. Bei der Umschulung des deutschen Geistes wird ihm dies Experiment sicherlich nicht gluecken; dean Deutschland 1st in seinem kulturellen Leben stets ein Boden der Mannigfaltigkeit gewesen. Die Matinigfaltig- keit im Geiste wird aus Deutschland niemals vei- schwinden. Das aber wird wahrscheinlich auch Herr Di. Goebbels sehr genau wissen, -der ja wirklich ein ausser- ordentlich kluger Mann ist.