30 SEPTEMBER 1938, Page 21

PREUSSENS ERSTE EISENBAHN

[Von einem deutschen Korrespondenten]

" LAMER voran," so lautet der Titel eines Festspieles, das ztun hundertsten Geburtstage der Eisenbahn Berlin-Potsdam in der Deutschlandhalle zehn Tage lang aufgefithrt wird. Es finden taglich zwei Vorstellungen statt, der Preis der Karten ist sehr bescheiden und die gauze Ausstattung diirfte ebenfalls ziemlich bescheiden und volkstiimlich gehalten sein.

Am Eriiffnungstage dieses Festspieles fand eine Wiederholung der historischen ersten preussischen Eisenbahnfahrt statt. Am frithen Morgen versammelten sich die Teilnehmer dieser Reise im Lustgarten, um schon so den lustvollen und lustigen Charakter der Fahrt zu demonstrieren, Frauen und Manner hatten die Kostiime ihrer Grosseltern angezogen, bunte Trachten aus der Biedermeierzeit, in der es VatermOrder nur in Form von grossen Herrenkragen gab. Dann bestiegen die braven Leute ihre alten Fahrzeuge, Kremser und Kutschen, die man nebst den dazu gehorigen Pferden aus den altesten Stallen hervorgeholt hatte. Auf dem alten Potsdamer Bahnhof erwartete bereits der hundertjahrige Jubilaumszug die Festgitste, bestehend aus der Lokomotive " Adler " und den fiinf offenen Wagen, gepolstert mit blauen Sitzen. Urn zehn Uhr nahmen die Fahrgaste ihre Platze ein, Zugfiihrer und Heizer im Galakostihn mit Zylinderhut bestiegen ihr Dampfross. Dann rief der Bremser von seinen luftigen Sitz im letzten Wagen frOhlich " Einsteigen fiir den Personenzug Steglitz—Zehlen- dorf—Potsdam ! ", bimmelte noch einmal ganz ftirchterlich, well ja alles schon eingestiegen war und dann ging es unter machtigem Pfeifen und noch machtigeren Dampfwolken mit dem alten Ziiglein aus dem alten Bahnhof. Hier und auf der ganzen 27 km langen Bahnstrecke hatten sich Zehntausende von Neugierigen eingefunden, urn fiir einen Augenblick lang den Blick von einer furchtbaren Gegenwart in eine freundlichere Vergangenheit zurtick zu senden.

Wahrend der " Adler " mit seinen fiinf Wagelchen geruhsam durch den Grunwald zottelte, gab es in den Kammerlicht- spielen am Potsdamerplatz eine Festversammlung mit der Egmont-Ouvertiire und Ansprachen von Berliner Reichsbahn- prasidenten, dem Berliner Oberbtirgermeister und dent Reichsverkehrsminister, wobei die vollstandige Umgestaltung des Berliner Verkehrsnetzes angekiindigt und auch schon naher beschrieben wurde. Dann fuhren die Ehrengaste von cliesem Festakt mit einem richtigen elektrischen Sonderzug dem historischen Zfiglein nach, tiberholten dieses im Bahnhof Ufastadt Babelsberg und gesellten sich zu den Schaulustigen im Bahnhof Potsdam, wo unser Jubilaumszug nach dreistiin- • diger Fahrt pustend schnaubend und zischend eintraf. Aile Potsdamer Honorationen, der Polizeipriisident; Regierungs- prasident, Stadtkonunandant und andere hatten • sich mit Mannlein und Weiblein in Biedermeierkostiim eingefunden, urn dann die Berliner Gaste in einem' grossartigen Festzug fiber die lange Briicke nach dem Konzerthaus zu geleiten, wo es ein Festessen mit Bier aus der Kindlbraucrei, viol Reden und noch vielen anderen Ulk gab. Die Riickreise wurde aber mit Riicksicht auf die Sicherheit der lieben Gaste nicht im offenen Jubiliumsiug angetreten.

Preussens erste Eisenbahn war die dritte in Deutschland. In Bayern war die erste 1835 zwischen Niirnberg und Fiirth einge- richtet worden, in Sachsen folgte zwei Jahre spacer eine zwischen Leipzig und Althen. Die Potsdamer Strecke war am 22. Sep- tember 1838 zwischen Potsdam und Zehlendorf bcfahrbar, am 29. Oktober war die ganze Strecke fertig. Der Fahrpark bestand aus sechs englischen Lokomotiven, zwei Staatswagen und

vierzig Personenwagen Klasse, zu denen noch ein Vieh-und ein Gepackwagen kamen. Die Fahrt fand taglich um zwolf Uhr mittag statt und dauerte 42 Minuten.

Das Festspiel " Immer voran " besteht aus der Vorfithrung von allen Arten jener Eisenbahnziige, die seit hundert Jahren zwischen der feudalen und industriellen Hauptstadt Deutsch- lands den Verkehr vermitteln. Auch der modernste Schienen- zepp wird in dem Durchgangsbahnhof Deutschlandhalle " aufreten." Es werden auch Ziige der Zukunft anrollen, aber ihr Aussehen soli nicht verraten werden.

Die Deutschen spielen genie Theater. Aber sie sired erst ganz in ihrem Element, wenn dieses Theater noch mit Technik aufgeputzt werden kann. Solange es sich mit Eisenbahnen, Festspielen und anderen harmlosen Dingen befasst, wiinschen wir ihnen von Herzen eine gate Reise und ein " brunet voran • • ."